Liebe
Patientinnen und Patienten, liebe Eltern,
Sie haben in
letzter Zeit sicher viel über die zunehmende Digitalisierung im
Gesundheitswesen und den Widerstand von Teilen der Ärzteschaft dagegen gehört
und sich dabei vielleicht auch gefragt, wie wir als Praxis dazu stehen und wie
wir versuchen, die digiale Sicherheit Ihrer Daten zu gewährleisten.
Wir als Praxis
lehnen den Anschluss an die Telematik-Infrastruktur (TI) aus verschiedenen Gründen
ab und versuchen, diese Verweigerung des Anschlusses so lange wie möglich
durchzuhalten. Zur Zeit wird uns dafür 1% unseres Kassenhonors abgezogen.
Dieser Strafabzug soll im Jahr 2020 auf 2% und im Jahr 2021 auf 3,5% steigen.
Aber das ist es uns zur Zeit jedenfalls noch wert.
Was sind nun
unsere Gründe für diese Verweigerung:
1. der Nutzen
Wir sind zwar
aufgrund unseres Alters keine "Digital-Nativs“, aber wir sind auch sicher
kein EDV-Laien oder -Verächter. Wir haben seit Jahren eine weitgehend papierlose
Praxis, und wir haben unser Praxis-Netzwerk mit 12 Clients selber eingerichtet
und betreuen es auch selber. Wenn wir einen Nutzen in einer technischen
Neuerung sehen, dann sind wir auch sicher bereit, dafür Zeit und Geld zu
investieren, auch wenn das nicht zu einem höheren finanziellen Gewinn führt.
Aber von einem
Anschluß an die TI haben wir, unsere Patienten und unsere Praxis überhaupt
keinen Nutzen. Weder für die Praxisorganisation, noch für das
Qualitätsmanagement, die Dokumentensteuerung, die Kommunikation mit externen
Stellen oder die Patientenversorgung. Die einzigen Nutznießer der Anbindung an
die TI sind die Krankenkassen, die Hardware-Hersteller und die
Software-Anbieter.
Geködert wird
die Öffentlichkeit ja mit einem Zusatznutzen für die Patienten durch eine
elektronische Patientenakte, einen elektronischen Notfallausweis oder ein
elektronisches Rezept. Aber ob das jemals kommt, wer in der Arztpraxis die Zeit
aufbringen soll das alles zu pflegen, wer für Eingabefehler oder
Unvollständigkeit dieser Daten durch Übertragungsfehler oder Löschwünsche des
Patienten gerade stehen soll, wie diese Zusatzdaten auf Zentralservern,
Smartphones und zehntausenden von medizinschen Usern wie Praxen, Apotheken,
Therapeuten, Krankenhäusern und Rettungskräften sicher verwaltet werden sollen,
darüber verliert Niemand ein Wort.
2. die Kosten.
Natürlich
sollen wir Ärzte geködert werden mit der Übernahme der Kosten. Erstattet werden
ja aber nur die Kosten für die TI-Hardware, die Erstinstallation und den -
störungsfreien - Betrieb. Die Kosten für etwaige durch den TI-Anschluß
notwendigen Hardware-Aufrüstungen oder Arbeiten von Hotlines und EDV-Betreuern
werden nicht bezahlt. Und jeder, der mit EDV arbeitet weiß, dass die Fehler-
und Störungsmöglichkeiten mit der Komplexizität des Systems wachsen.
Dazu kommt, dass die seit 2 Jahren verwendeten Konnektoren ein fest eingebautes
Sicherheitszertifikat haben, das nach 5 Jahren ausläuft und nicht erneuert
werden kann. Dann müssen all diese tausenden von Konnektoren wieder für teuer
Geld ersetzt werden.
Davon
abgesehen, auch wenn uns die Kosten erstattet werden, so muß sie ja doch
Irgendjemand bezahlen. Auch wenn das Geld nicht aus unserer Gesamtvergütung
stammt, so ist es doch Geld der Versicherten, das man sicher viel viel besser
für die Versorgung der Versicherten verwenden könnte. Für die Gesellschaft als
Ganzes ist das eine gewaltige Geldvernichtungsaktion.
3. die Zeit.
Der
Zeitaufwand für die Erstinstallation scheint ja nach Erfahrungsberichten von
TI-Nutzern sehr unterschiedlich zu sein und in vielen Fällen auch wirklich
nicht besonders hoch. Aber ein paar Stunden pro Praxis gehen da schon sicher
drauf. Auch der zusätzliche Zeitbedarf für den Stammdatenabgleich scheint pro
Patient meist nicht sehr hoch zu sein. Aber auch eine kleine Verzögerung pro
Patient aufsummiert mit der Patientenzahl pro Quartal + die Zeitverluste bei
Störungen des Systems oder durch die Notwendigkeit die Karten erst mal ohne
TI-Verbindung einzuspielen und anschließend noch mal in das TI-System zu übertragen,
addieren sich ganz schön. Das muss man dann entweder alles selber machen und
hat deswegen noch weniger Zeit für die Patienten oder die Familie, oder man
lässt es von den EDV-Betreuern für viel Geld machen.
4. die
Datensicherheit.
Es ist allen klar,
dass auch jetzt schon Patientendaten über das Internet verschickt werden.
Abrechnung an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) oder auch durch unseren
AOK-Hausarztvertrag in Baden Württemberg. Aber bis jetzt sind das dezentrale
Verbindungen mit einzelnen KVen oder Krankenkassen mit unterschiedlichen
Systemen, Hardwarekomponenten, Verschlüsselungen und Zugangskontrollen. Und es
werden im wesentlichen nur Abrechnungsdaten verschickt. Außerdem kann durch die
Dezentralisation auch im schlimmsten Fall immer nur ein kleiner Teil der Daten
geklaut werden.
Durch die
Anbindung aller Akteure (Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken, Therapeuten,
...) an nur eine Zentrale die dann zentral alle Daten des
Patienten speichern soll (Arztbesuche, Diagnosen, Medikamente, Untersuchungen,
...) wird das zu einer Monokultur. Das ist so, als wenn man allen Praxen
vorschreibt, das gleiche supersichere Haustürschloß mit dem gleichen Schlüssel
zu verwenden. Anfangs ist das sicherer, als wenn jede Praxis ein nicht so gutes
eigenes Schloss hat. Aber wenn es auch nur einem Einbrecher gelingt, den
Schlüssel nachzumachen, dann hat er sofort Zugang zu jeder Praxis.
Außerdem sind Gesundheitsdaten langlebig. Wenn es einem Hacker gelingt, mein
Bankkonto zu knacken oder mein Emailkonto, dann habe ich im schlimmsten Fall
einen zeitlich begrenzten fianziellen oder zeitlichen Verlust. Wenn ich mein
Bankkonto auflöse oder einen anderen Emailprovider nehme, dann ist der Schaden
abgeschlossen. Die geklauten Daten haben ein Verfallsdatum. Wenn mir jedoch heute
meine medizinschen Daten geklaut werden, dann gibt es noch 20 Jahre später
Jemanden (Versicherungen, Arbeitgeber, missliebige Nachbarn, ...), der sich für
meinen Schwangerschaftsabbruch interessiert, oder meine Geschlechtskrankheit,
mein ADHS oder meinen erhöhten Blutdruck. Medizinische Daten haben kein
Verfallsdatum!
5. der Zwang
Natürlich ist
es manchmal notwendig, technische Verbesserungen durch einen gewissen Druck von
Oben in der Breite der Anwender zu etablieren. Die Quartalsabrechnung per PC anstatt
händisch mit Papierscheinen und die Übermittlung von Abrechnungsdaten per
Upload statt per Diskette oder Papier zählt da dazu. Aber das sind eindeutige
Verbesserungen in der Datenverarbeitung, die auch mir als Anwender nach
anfänglicher Erstinvestitionen von Zeit und Geld einen Nutzen bringen (z.B.
bezüglich Zeitgewinn oder reduzierten Verwaltungsgebühren) und keine auch in
Expertenkreisen umstrittene Projekte.
Niemand hat
eine Strafgebühr für die zwangsweise Einführung des Telefons oder des Fax-Gerätes
in die Arztpraxis erheben müssen. Ganz einfach, weil bei diesen technischen
Fortschritten der Nutzen trotz der Kosten klar überwog.
Wir sind keine
Angestellten der Krankenkassen oder der KV. Wir haben Verträge, die uns gewisse
Verpflichtungen auferlegen, aber damit hat es sich. Und so ein unausgereiftes
Projekt in einer so kurzen Zeit mit so viel Druck gegen die Anwender
durchzuprügeln ist einfach unmöglich und verlangt nach Widerstand.
Und damit
sieht man auch die wichtigen Unterschiede zum AOK-Hausarztvetrag in BaWü, bei
dem auch Abrechnungsdaten über das Internet verschickt werden:
1. Der Nutzen:
Der Patient
hat einen Nutzen, weil er von der AOK Zusatzleistungen bezahlt bekommt, die er
sonst selber bezahlen müsste (Sehtest, Vorsorgen,...). Wir haben einen Nutzen,
weil wir unsere Leistungen endlich halbwegs gerecht bezahlt bekomme. Und die
AOK hat einen Nutzen, weil sie so die zusätzlichen Kosten für Ärztehopping
vermeidet.
2. Die Kosten:
Es gab geringe
Erstinstallationskosten im Hunderter Bereich und zusätzliche monatliche
Softwaregebühren im zweistelligen Bereich. Und damit hat es sich. Es muss keine
zusätzliche teure Hardware gekauft, gewartet und später erneurt werden. Die
Kosten zahlen wir und nicht die Versicherten.
3. Die Zeit:
Nach
anfänglicher Einarbeitung kostet die vom KV-System abweichende
Datenverarbeitung minimal mehr Zeit. Und wenn das System mal nicht
funktioniert, weil der AOK-Server spinnt oder unser Anschluss hakt, dann
arbeiten wir einfach ohne online-Verbindung weiter. Die brauchen wir nämlich
eigentlich nur, um neue Patienten einzuschreiben oder die Quartalsabrechnug zu
übermitteln. Und beides ist nicht zeitkritisch und kann auch eine Woche später
gemacht werden.
4. Die
Datensicherheit:
Es werden nur
die Abrechnungsdaten der AOK-Patienten in BW übertragen. Natürlich könnte auch
das für einen Hacker interessant sein, aber für die nächste Krankenkasse oder
den nächsten Vertrag müsste er wieder von vorne loshacken, weil das System
anders funktioniert, und das ist sicher nicht so attraktiv.
5. Der Zwang:
Es gibt keinen
Zwang. Wir können selber entscheiden, ob wir an dem Projekt teilnehmen oder
nicht. Und auch wenn wir es schon jahrelang gemacht haben, können wir jederzeit
wieder aussteigen. Es ist unsere eigene Entscheidung, ob wir für uns und unsere
Patienten einen Vorteil darin sehen, da mitzumachen. Es gibt in Baden
Württemberg viele Kolleginnen und Kollegen, die nicht an dem Hausarztvertrag
teilnehmen und damit auch gut leben.
Wie etliche
Kollegen bin ich also schon der Meinung dass die TI eine Zäsur ist. Weil uns in
großem Stil gegen unseren Willen ein System übergestülpt werden soll, dass die
Gesellschaft sehr viel Geld kosten wird, das für uns und die Patienten
keinerlei Zusatznutzen bringt, dass uns Zeit kosten wird, die dann für die
Patientenversorgung fehlt und das schon voraussehbar in den nächsten Jahren zu
Datenskandalen und Zusatzkosten führen wird.
Unsere Praxis
wird sich erst dann anschließen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.
Und was die
Forderung von Gesundheitsminister Spahn angeht, die Verantwortung für die
Datensicherheit liege alleine bei der jeweiligen Arztpraxis, so möchten wir mit
folgendem Vergleich zum tieferen Nachdenken anregen:
„Der neue Gesundheitsminister will die Patientenversorgung verbessern, indem er den Patienten verspricht, dass der Arzt nun noch schneller zum Hausbesuch kommt, weil jeder Praxis aus Versichertengeldern zu Dienstzwecken ein 400PS starker Porsche gekauft wird.
Viele Ärzte
sind gegen den Plan. Zum Einen, weil sie darin nur eine unnötige
Verschleuderung von Versicherungsgeldern sehen bei einer nur geringfügigen
Verbesserung der Patientenversorgung. Und zum anderen, weil ihnen ihr eigener
Wagen, den sie kennen und fahren können, lieber ist, als ein 400PS starker
Bolide, der nicht so einfach zu fahren ist.
Die
Autoindustrie unterstützt die Pläne, weil sie dringend einen Absatzmarkt für
ihre hochgezüchteten Sportwagen braucht, da diese wegen der Klimadiskussion
bald veraltet sein werden.
Auf den Einwand vieler Ärzte, dass sie solch ein übermotorisiertes Fahrzeug nicht sicher fahren können, anwortet der Minister, dass man sich ja dann auf eigenen Kosten einen Fahrer anstellen könne.
Nach einem
Jahr des neuen Gestzes haben ca. 70% der Ärzte einen solchen Rennwagen. Einige
wenige sind wegen des Medizin-Beschleunigungs-Gesetzes aus der Kassenversorgung
ausgestiegen und der Rest zahlt einen Porsche-Versorgungs-Malus von 1% des
Kassenhonorars. Die Versorgung ist kein bisschen besser geworden. Dafür ist die
Zahl der Verkehrsunfälle im Dienst gestiegen und die Zeitungen titeln, dass 90%
der Ärzte mit dem neuen Dienstwagen nicht sicher fahren können.“
Frohes
Nachdenken
Ihr Praxisteam
Stand Februar 2020
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